Social Smile Restaurant

15.September – 17.November 2018 - Ho-Chi-Minh-City, Vietnam

Von der Wichtigkeit immer ein Lächeln im Gesicht zu haben.

Vietnam ist ein Land mit einer turbulenten Vergangenheit. Der Vietnamkrieg (oder wie ihn die Vietnamesen nennen «Anti-America-War») und der immer noch präsente Kommunismus haben ihre Spuren hinterlassen, aber dennoch gibt es viele Gründe, dieses Land zu besuchen. Da der Aufenthalt in HCM-City, ehemals Saigon, mindestens 9 Wochen dauern wird, werden die Berichte nicht chronologisch, sondern thematisch erfolgen, wobei folgende Bereiche abgedeckt werden:

- First Steps in Vietnam/Saigon
- Verkehr
- Kulinarik
- Kultur
- Sprache
- Ausserhalb von Saigon
Travelino behält es sich vor, diese Liste zu erweitern oder Themen zu kombinieren.

Ein Land kennenzulernen bedeutet nicht, dass man ein bisschen herumreisen kann und so auf magische Art und Weise alles Wissen aufnimmt. Eine Kultur muss man (er-)leben, hautnah und sich «unterˋs Volk mischen». Nur so erlebt man den unbeschönigten Alltag eines Vietnamesen. Über die Organisation ICYE (International Cultural Youth Exchange) bewirb man sich im Social Smile Restaurant (grobe Übersetzung aus dem Vietnamesischen). Dem Informationstext wird entnommen, dass man dort als Volunteer eingesetzt wird, um in der Küche und im Service zu helfen. Laut der Webseite des ICYE handelt es sich dabei um ein vietnamesisches Äquivalent einer Suppenküche, wo man für sehr wenig Geld eine Mahlzeit bekommen kann.

Arbeitszeiten sind jeweils 7.30-12.30 von Montag bis Freitag – perfekt, um am Nachmittag und Wochenende Vietnam näher kennen zu lernen. Wie schwer kann die Arbeit in einem Restaurant schon sein? Die Antwort: Härter, als viele Leute zu wissen meinen.

In der Nähe des Stadtzentrums, in einem der ärmeren Bereiche von HCM (man darf nicht vergessen, dass Vietnam technisch gesehen noch als Entwicklungsland gilt) befindet sich das Restaurant. Als Kater aus der Schweiz ist man sich Armut und Elend glücklicherweise nicht gewohnt und es ist nicht so, dass Zustände wie in den brasilianischen Favelas herrschen würde, aber es ist ein grosser Kulturschock zu sehen, wie eng und – für Schweizer – «dreckig» man hier lebt (mehr dazu später in first Steps).

Das Smile Restaurant entpuppt sich als ein Geschäft, in dem knapp 50 Leute auf engstem Raum sich auf kleine Plastikstühle an Metalltische zwängen, mit einem zweiten Raum hinten, der als Küche dient.

Es wird schnell erklärt, dass Leute, die hier essen, solche sind, die entweder Studenten, alt, behindert oder andersartig benachteiligt sind, oder an der Armutsgrenze leben. Der Preis ist mehr symbolisch: 2000 Vietnam Dong (umgerechnet etwa 8 Rappen) sind selbst für Vietnam sehr wenig, wo man ab etwa 20'000 Dong schon satt werden kann.

Früh am Morgen versammeln sich die Mitarbeiter des Restaurants. Einige Mitarbeiter haben sich im Eingangsbereich sogar mit einer Fläche aus Plastikhockern und Schaumstoff eine Schlafstätte gebastelt. Arbeit und Zuhause sind in einem Raum vereint. Viele Helfer/innen sind entweder Studenten, die im Rahmen der Universität an einem sozialen Projekt teilnehmen müssen, ehrenamtliche Mitglieder oder die Besitzer. Laut der vietnamesischen Webseite ist das Etablissement ein Zweig einer sozialen Organisation Vietnams.

Blitzschnell werden die Aufgaben verteilt: Manche Helfer werden beauftragt Geschirr fertig zu putzen, Gemüse und Kräuter wie kleine Gurken, Zwiebeln, Thaibasilikum, Kohl, in Europa unbekanntes Gemüse und Fleisch, meistens Schweinefleisch, Sardinen, Rindfleisch muss gerüstet und geschnitten werden. In der Küche werden auf grossen Gasbrennern am Boden in einem beindruckenden Tempo Suppen, Reis, die restlichen Zutaten zubereitet.

An jedem Tag gibt es Reis (samstags Nudeln, sonntags ist das Restaurant geschlossen), Gemüse, eine Suppe, eine Banane und entweder Fisch oder Fleisch mit einer Sauce. Wie später zum Thema Kulinarik erklärt, ist Fleisch/Fisch häufig bei einer Mahlzeit dabei, aber meistens in geringen Mengen. Beim Fleisch handelt es sich praktisch immer um Schweineschwarten, da solche billig und in grossen Mengen verfügbar sind. Die obligaten asiatischen Sojasauce, Fischsauce, Chilipaste und Reis zum Nachschöpfen werden auf die Plätze verteilt und um 10.30 Uhr geht es mit dem Mittagessen und der grossen Hektik los.

In kürzester Zeit bildet sich eine Schlange von hungrigen Leuten, die gegen ein Entgelt von 2ˋ000 Dong einen Jeton bekommen, den sie weiter vorne bei einer Helferin abgeben und ein Tablett bekommen mit ihrer Mahlzeit drauf. Die Betreiberin des Restaurants klatscht und ruft herum, um ihre «Marschordnung» (immer im Uhrzeigersinn im Raum) um die Tische einzuhalten und die Plätze zu verteilen.

Es gibt immer etwas zu tun: Geschirr muss abgewaschen, leere Reisschalen am Tisch nachgefüllt, Suppe nachgeschöpft oder den durch Alter oder Krankheit beeinträchtigen Menschen das Essen an den Platz gebracht werden. Dank der Intensität und dem Klima (tropisch) läuft schnell der Schweiss in Strömen und man ist dankbar dafür, dass man sich ab und zu dort hinstellen kann, wo ein Ventilator seinen lebensrettenden Luftstrom durchschickt. Der max. 100 Quadratmeter grosse Essraum ist mit sage und schreibe 9 Ventilatoren bestückt. Ab und zu muss man sich die tropfende Stirn mit Servietten abputzen, damit der Schweiss das Essen nicht versalzt. Glücklicherweise kann man jederzeit nach hinten in die Küche marschieren und sich vom eisgekühlten Reistee bedienen (SEHR empfehlenswert).

Viele der Gäste kommen, essen und gehen nach nur 5 min wieder, doch manche scheinen eine grosse Freude zu haben, dass sie dieses Angebot nutzen können, versuchen ein oder zwei Worte gebrochenes Englisch auszutauschen oder begrüssen die Arbeiter jeden Tag mit einem freundlichen Lachen. Die Atmosphäre ist auf asiatische Art und Weise warmherzig und empfangend. Man merkt deutlich, wie das eingefleischte Personal mit manchen der Konsumenten redet und scherzt, dass es Stammkunden hat, die bekannt sind und gern gesehen werden. Selbst Neulinge merken nach zwei, drei Tagen, wer zu den regelmässigen Besuchern gehört.

Um 12.30 Uhr oder spätestens, wenn das zubereitete Essen aufgebraucht ist (es werden innerhalb zweier Stunden zwischen 300 und 400 Leute versorgt), geht es ans Aufräumen und die ganze Küche wird für den morgigen Tag erneut hergerichtet. Eine gefühlte metrische Tonne Reis verschwindet während der Essensausgabe in Nullkommanichts in hungrigen Mäulern, mitgebrachten Behältern oder dank ungeschickten Händen unter dem Tisch oder verteilt sich auf Arbeiterhosen.

Im Smile Restaurant zu arbeiten ist etwas, das im Englischen als «humbling» bezeichnet wird. Man wird sich bewusst, was essentiell ist im Leben und mit wie wenig manche Leute schon glücklich sein können. Alleine schon Trinkwasser aus der Leitung oder die Möglichkeit sich auf Sozialhilfe verlassen zu können, ist ein Luxus, welcher nicht in jedem Land gewährt ist.

Trotz allem ist es ein positives Erlebnis. Man erlebt Leute, die viel Energie und Zeit in gemeinnützige Arbeit investieren. Der Grund ist simpel, sie wollen anderen helfen. Es zeigt auf, dass es nicht viel braucht, um dem Menschen ein bisschen Würde zurückzugeben. Kulinarik braucht nicht viel Schnickschnack, auch die einfache Mahlzeit auf einem silbrigen Tablett kann den Menschen sehr glücklich, satt machen und für die nächste kulinarische Freude stärken.

Es beginnt mit einem Lächeln.

Smile.